Qualitative Forschung
Einzelbefragungen (1/2)
Qualitative Interviews (Einzelbefragungen)
Es existiert eine Vielzahl von Interviewformen und noch mehr Bezeichnungen für diese. Leider sind die verschiedenen Bezeichnungen sehr uneinheitlich und können so für Verwirrung sorgen.
Zudem beziehen sich die Bezeichnungen der Befragungen auf ihren spezifischen Forschungsgegenstand, den Anwendungsbereich, die Erhebungs- oder Auswertungsmethode.
Nachfolgend finden Sie einen Überblick über die häufigsten Interviewvarianten.
Interviewvarianten
Das Leitfaden-Interview ist die gängigste Befragungsform. Es zielt darauf ab, die individuelle Sicht eines Interviewpartners/einer Interviewpartnerin auf ein Thema zu erhalten. Dazu werden gezielt "Leitfragen" gestellt, durch die ein Dialog zwischen Interviewer/in und Befragtem/Befragter initiiert werden soll.
Diese Leitfragen sind vorab festgehaltene Fragen nach bestimmten Aspekten des Forschungsthemas. Sie bilden das Gerüst für die Datenerhebung und -analyse. Dennoch ist es erlaubt im Interviewverlauf von der Reihenfolge der Fragen und der konkreten Formulierung abzuweichen oder sogar Fragen nach Inhalten aufzunehmen, die vorab nicht geplant wurden.
Die Fragen werden offen gestellt, so dass der/die Befragte sie frei und ausführlich beantworten kann. Der Interviewer/die Interviewerin kann mit Nachfragen Details abfragen oder überprüfen, ob die Antworten richtig verstanden wurden. Das Stellen von (Rück-)fragen an der richtigen Stelle ist ein entscheidendes Element für das Gelingen des Leitfaden-Interviews. [1]
Beim fokussierten Interview steht ein bestimmter Untersuchungsgegenstand im Mittelpunkt des Gespräches bzw. geht es darum, die Reaktionen des/der Interviewten auf das "fokussierte Objekt" zu untersuchen. Dieses kann sowohl ein Buch, ein Film, ein psychologisches Experiment oder irgendeine andere konkrete Situation sein.
Vorbereitung: Der Interviewer/Die Interviewerin untersucht das Untersuchungsobjekt ausführlich, so dass er/sie Hypothesen zu der Bedeutung und Wirkung einzelner Aspekte aufstellen kann. Auf dieser Basis wird ein Leitfaden erstellt, mit dem die Hypothesen im Interview überprüft und neue Erklärungsbeiträge erfasst werden können.
Dabei darf der Interviewer/die Interviewerin die Antworten der Befragten nicht beeinflussen – vielmehr soll der/die Interviewte durch die nondirekten Fragestellungen angeregt werden, eine persönliche Sichtweise darzustellen. Dabei gilt es Raum für unerwartete Reaktionen zu lassen und diese aufzugreifen. Auf diese Weise können neue Hypothesen aufgestellt werden.
Ziel ist es, dass der/die Interviewer/in möglichst viele tiefgehende Informationen zu Affekten und Gefühle erhält, indem er/sie direkt Fragen danach stellt („Wie ging es Ihnen dabei?") und zudem Raum für unerwartete Reaktionen lässt. [1]
- Wie hat der Film auf Sie gewirkt?
- Was ist Ihnen besonderes an dem Film aufgefallen?
- Wie haben Sie die Szene ... empfunden?
- Was hat in dieser Szene diesen Eindruck bei Ihnen erweckt?
- Was der Film für Sie informativ? War für Sie neu in dem Film?
- Was war Ihr erster Gedanke/ Ihre erste Reaktion auf den Film?
Dabei folgt das Interview diesem Ablauf:
- Einleitung: Die Einleitung erfolgt durch einen sogenannten Erzählanstoß, der eine Stegreiferzählung auslösen soll. Das zentrale Thema sollte für den/die Befragte/n relevant sein und ihm/ihr das Gefühl geben, als Experte/Expertin zum Thema gehört zu werden.
- Hauptteil: Im Hauptteil erzählt der/die Befragte eine Geschichte zum Thema, die inhaltlich nicht kommentiert wird. Dem/der Interviewenden kommt die Aufgabe zu, für eine angenehme Gesprächssituation zu sorgen, indem er/sie sich interessiert und verständig zeigt und auch Schweigen akzeptiert.
- Nachfragephase: Es folgt eine Nachfragephase, in der offen gebliebene Hintergründe, Details und Widersprüche geklärt werden.
- Bilanzierungsphase: Durch direkte Frage wird zur Bewertung der Geschichte anregen: „Welche Konsequenzen hatte dieses Ereignis für Ihr XY?“ oder „Haben Sie etwas Wichtiges aus diesem Erlebnis gelernt?"
- „Detaillierungszwänge“ (Alle zum Verständnis notwendigen Hintergrund- und Detaillinformationen werden mitgeliefert)
- "Gestaltschließungszwänge" (Eine angefangene Geschichte wird zu Ende erzählt)
- "Kondensierungszwänge" (Die Geschichte wird so verdichtet, dass sie in begrenzter Zeit zu erzählen und zu verstehen ist) [1,2]
Beispiel einer Eingangsfrage im narrativen Interview
Erzählen Sie mir doch bitte von Ihrem Leben! Fangen Sie mit Ihren Eltern und Ihrer Geburt an, berichten Sie mir von Ihrer Kindheit, Ihrer Jugend und allem, was sich bis heute zugetragen hat. Erzählen Sie in Ruhe und ganz ausführlich. Sie können sich ruhig Zeit lassen. Sie entscheiden was wichtig ist. Für mich ist alles interessant, was Sie erzähen wollen!
Das Experteninterview ist ein Sammelbegriff für offene oder teilstandardisierte Befragungen von Experten und Expertinnen zu einem vorgegebenen Bereich oder Thema. Im Gegensatz zu den anderen Interviewformen steht beim Experteninterview weniger der/die Befragte als Ganzes im Vordergrund, sondern eher seine/ihre Eigenschaften und sein/ihr Wissen in einem bestimmten Handlungsfeld.
Steht das Wissen des Experten bzw. der Expertin im Vordergrund, sollte die Fragen enger gefasst werden. Fragen Sie direkt nach relevanten Informationen – Themensprünge sind dabei erlaubt! [1,2]
Quellen:
[1] Flick, Uwe (2009): Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. 2. Auflage. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt, S.193ff.
[2] Flick, Uwe (2014): Sozialforschung. Methoden und Anwendungen. Ein Überblick für die BA-Studiengänge. 2. Auflage. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, S.113ff.