Wissenschaftliches Denken & Arbeiten

Der theoretische Forschungsprozess

Der Forschungsprozess theoretischer (nicht-empirischer) Arbeiten beinhaltet folgende Arbeitsphasen: Nachdem ein bearbeitungswürdiges Thema gefunden wurde, sollte eine wissenschaftliche Frage bzw. ein wissenschaftliches Problem formuliert werden (1), mit dem man sich intensiver auseinandersetzen möchte. Hypothesen werden gebildet, die Literaturrecherche (2) beginnt. Das Thema wird ausgiebig bearbeitet, indem Antworten auf die eingangs gestellten Fragen gesucht, bewertet, kritisch untersucht und ggf. angewandt bzw. umgesetzt werden (3 + 4). Die Ergebnisse werden anschließend verschriftlicht (5) und letzten Endes veröffentlicht bzw. präsentiert und diskutiert (6).

Dieser Forschungsprozess ist nicht als linearer Ablauf zu verstehen. Vielmehr ist er ein Kreislauf, der mit einer unbeantworteten Frage- oder Problemstellung beginnt und mit ihrer Beantwortung “endet” und dann ggf. mit einer neuen Frage fortgeführt wird. Zudem können sich während der Literaturrecherche oder der Themenbearbeitung weitere Frage- bzw. Problemstellungen für anschließende Forschungsarbeit(en) ergeben. Diesen Kreislauf können Sie sich wie folgt vorstellen:
 

Der theoretische Forschungskreislauf in 6 Phasen. CC-BY- SA Sabine Treichel (Text) und Maria Stiehl (Grafik) | LLZ

 
Hinter den folgenden Registern verbergen sich detaillierte Informationen zu den einzelnen Arbeitsschritten:

Welches Thema, welche konkrete wissenschaftliche Fragestellung oder welches Problem möchten Sie in Ihrer Arbeit behandeln und intensiver untersuchen? Eine eingegrenzte, klare, präzise Fragestellung ist der Grundstein jeder Arbeit; sie wird der rote Faden für alle kommenden Schritte sein. Manchmal werden Sie in Ihrem Studium eigene Ideen vorbringen und entwickeln dürfen; Sie können dann ein Thema für Ihre wissenschaftliche Arbeit frei wählen. In diesem Fall schauen Sie bitte zunächst, welcher Fachbereich Ihnen überhaupt zusagt und orientieren Sie sich mithilfe einer ersten (flüchtigen) Literaturrecherche, welche genauen Themen und Problemfelder er beinhaltet.

Wenn Sie eine konkrete wissenschaftliche Fragestellung formuliert haben, können Sie eine Hypothese bzw. mehrere Hypothesen bilden, die Sie untersuchen möchten. Eine beispielhafte Fragestellung für eine Theoriearbeit wäre: "Litt Hermann Hesse unter einer psychischen Erkrankung?"; die entsprechende Hypothese lautet: „Hermann Hesse litt unter einer psychischen Erkrankung.“
Eine wissenschaftliche Fragestellung für eine Meta-Analyse könnte sein: "Ist Kaffee ein protektiver Faktor bei Krebserkrankungen?"; und "Kaffee wirkt protektiv bei Krebserkrankungen." die dazugehörige Hypothese.

Wenn Sie sich auf eine präzise Fragestellung und Hypothese festgelegt haben, sichten Sie bitte hierzu entsprechende Literatur und lesen Sie diese ausgiebig. Häufig gibt es sehr viel Literatur zu einem Themengebiet und es ist nicht leicht, daraus die richtige für die eigene Arbeit wichtige auszuwählen. Es kann hilfreich sein, wenn Sie sich bei Ihrer Literatursuche fortwährend die Frage stellen: Ist diese Quelle für meine Fragestellung relevant? Wird sie mich in der Beantwortung voranbringen?
Für die Beispiel-Fragestellung (“Litt Hermann Hesse unter einer psychischen Erkrankung?“) müssten zunächst Kriterien einer psychischen Erkrankung und dann Primär- und Sekundärliteratur von und über Hermann Hesse, in denen diese Kriterien eine Rollen spielen, recherchiert werden.
Für die Meta-Analyse zur Beispiel-Fragestellung „Ist Kaffee ein protektiver Faktor bei Krebserkrankungen?“ sollten möglichst alle bis dato existierenden Studien gesucht werden, deren Daten hilfreich für die Beantwortung dieser Frage sind.

Sie beziehen nun Ihre recherchierten Inhalte auf Ihre anfangs gewählte Frage- oder Problemstellung. Hierfür ordnen Sie Ihre Literatur, sodass eine sinnvolle Struktur entsteht, bauen eine logische Argumentation auf, entwickeln daraus systematisch eine eigene Position. Hierin besteht Ihre wissenschaftliche Eigenleistung: Sie geben nicht bloß Literaturquellen wieder, sondern nehmen diese als Grundlage, um das Thema selbstständig zu bearbeiten.
Für die Beispiel-Fragestellung „Litt Hermann Hesse unter einer psychischen Erkrankung?“ können Sie nun aus verschiedenen Quellen (Biographien, Werkinterpretationen etc.) Argumente dafür oder dagegen finden und diese abwägen. Für die Meta-Analyse zur Beispiel-Fragestellung „Ist Kaffee ein protektiver Faktor bei Krebserkrankungen?“ gilt es, die Daten der Primär-Studien statistisch zu Metadaten zusammenzufassen.

Spätestens jetzt verschriftlichen Sie Ihre Forschungsarbeit. Sie schreiben nieder, was Sie in der vorherigen Phase (Bearbeitung des Themas) erarbeitet und an Ergebnissen hinsichtlich Ihrer Fragestellung und Ihrer Hypothese gefunden haben.
Die Verschriftlichung unterliegt bestimmten formalen Anforderungen und Richtlinien. Da unterschiedliche Fachbereiche und Lehrkräfte unterschiedliche formale Anforderungen stellen, kommunizieren Sie hierfür am besten mit Ihrem/Ihrer DozentIn.

Wenn Sie Ihre Ergebnisse verschriftlicht bzw. dokumentiert haben, werden Sie in der Regel Ihre Arbeit veröffentlichen (und sei es lediglich für Ihre DozentInnen) und präsentieren. Bei einer solchen Präsentation werden Ihre Ergebnisse ausgiebig diskutiert und kritisch hinterfragt. Ggf. eröffnen sich dabei neue Fragen oder neue Ideen, die der Beginn eines anschließenden Forschungskreislaufs sein können.