eStories: Logbuch zum Einsatz digitaler Medien in der Lehre

Blog der Arbeitsgruppe Medien und E-Learning an der JLU Gießen. Wir informieren über aktuelle E-Learning-Angebote und -Services

Lebendig Lehren und Lernen im digitalen Setting

Tasch, Jana [gz496] - 16. May 2024, 11:33am

Sie wünschen sich eine lebendige Lehrveranstaltung, in der sich die Studierenden sehr rege austauschen? In der viele Fragen gestellt werden und gemeinsam nach Lösungen gesucht wird? … nur wenigen gelingt die Umsetzung. Vera Lange hat dieses Ziel erreicht! Sie berichtet in diesem Interview, wie sie eine lebendige Lehre in einem Modul methodisch ganz gezielt umgesetzt hat: Zum Einsatz kam der „Flipped Classroom“.

  • Modul: Transdisciplinary Sustainability Research, semesterbegleitend
  • Studiengang: 1. Semester Master Sustainable Transition
  • FB: 09 Agrarwissenschaften, Ökotrophologie und Umweltmanagement
  • Zielgruppe: 30 internationalen Studierenden, sehr heterogene Gruppe

 Internationale Studierende 

Frau Lange, Ihr Modul findet im Rahmen eines internationalen Studiengangs statt. Wie kann man sich die Studierendengruppe vorstellen? Gibt es besondere Herausforderungen?

Die zentrale Herausforderung in dem Modul ist die sehr heterogene Studierendengruppe. Sie besteht aus internationalen Studierenden aus unterschiedlichen Herkunftsländern, die remote aus ihrem Land teilnehmen. Das heißt es treffen ganz viele unterschiedliche Kulturen aufeinander. Das Modul findet auf Englisch statt, was für viele nicht die Muttersprache ist.

Und dann ist der Studiengang ja auch interdisziplinär ausgerichtet. Die Studierenden haben unterschiedliche Hintergründe, was den Bachelor angeht, und damit auch unterschiedliche Vorerfahrungen: manche haben viele Vorkenntnisse zum Beispiel im Bereich Nachhaltigkeit, weil sie die Inhalte schon aus dem Bachelor kennen, andere hingegen haben gar keine Vorerfahrung.

Und was außerdem dazu kommt, ist so ein bisschen das Alter bzw. die Berufserfahrung: manche haben noch gar keine Erfahrung, kommen direkt aus dem Bachelor und andere haben schon sehr viel Berufserfahrung. Diese Studierenden bringen dann häufig Forschungserfahrung mit, was für das Verständnis der Nachhaltigkeitsforschung sehr hilfreich ist, aber auch die Heterogenität zwischen den Studierenden vergrößert.

Insgesamt handelt es sich also um eine Studierendengruppe, die in vielerlei Hinsicht heterogen ist. Und hier besteht die Herausforderung darin, alles zusammenzubringen.

Flipped Classroom

In dieser Situation haben Sie das Flipped Classroom Modell gewählt. Kurz gesagt bedeutet Flip Classroom, dass Studierende sich in einer asynchronen Selbstlernphase Inhalte anhand bereitgestellter Materialien aneignen und in der synchronen Phase vertieft man gemeinsam das, was man in der Selbstlernphase gelernt hat: man spricht über offene Fragen oder geht auf weiterführende Ideen ein oder wendet das gelernte Wissen an. Warum haben sie dieses Modell gewählt?

Das Flipped Classroom Modell eignet sich durch die vorgeschaltete Selbstlernphase sehr gut für diese heterogene Zielgruppe. Sie ermöglicht den Studierenden, dass sie in ihrem individuellen Tempo arbeiten können. Das heißt, die Studierenden können, wenn nötig, nochmal Inhalte oder Begriffe nachschlagen oder eben auch schneller arbeiten, wenn sie bereits Vorkenntnisse in der Thematik haben. Somit kommen die Studierenden immer gut vorbereitet in die Sitzung.

Die synchrone Phase wird dann für den Austausch genutzt, was in diesem rein digitalen Setting besonders wichtig ist. Die Studierenden haben außerhalb der Lehrveranstaltung wenig bis gar keinen Austausch, da sie sich nicht im Hörsaal treffen, weswegen das in den synchronen Phasen ja so wichtig ist.

Aus diesem Grund habe ich den Fokus sehr stark darauf gelegt, dass viel Austausch in Gruppenarbeiten, stattfindet. Das ist bei dieser heterogenen Gruppe so wertvoll, weil diese unterschiedlichen Vorerfahrungen und Perspektiven aufgrund von Kultur oder Interdisziplinarität ja auch sehr interessant für die anderen Studierenden sind.

Dadurch, dass die Vermittlung des Inhaltes zuvor in die Selbstlernphase ausgelagert ist, bleibt in der synchronen Seminarzeit mehr Zeit für die Interaktion.

Lernplattform ILIAS

Wenn in den synchronen Phasen der Austausch im Zentrum stand, sollten ja auch alle Studierenden gut vorbereitet sein. Wie haben Sie das alles organisiert? Wie konnten Sie sich versichern, dass an dem angebotenen Material auch wirklich gearbeitet wurde?

Ich habe die Lernplattform ILIAS als zentrale Plattform gewählt und darüber alle Lerninhalte für die Selbstlernphasen bereitgestellt. Es gab wöchentliche Aufgaben zu erledigen, wie Texte lesen oder Videos anschauen und dazu Fragen zu beantworten. Die Aufgaben mussten die Studierenden dann über die Übung hochladen, worüber ich auch direkt Feedback zu den Ergebnissen der Studierenden geben konnte. Insgesamt hat es hat sehr gut funktioniert, dass die Studierenden ihre Aufgaben erledigt und hochgeladen haben. Vielleich auch, weil die Einreichungen der Aufgaben verpflichtend waren.

Genauso war die Anwesenheit in den synchronen Phasen verpflichtend. So ist es gelungen, dass aus beiden Phasen von den Studierenden viel mitgenommen wurde.

Über Ilias habe ich auch alle weiteren organisatorischen Inhalte bereitgestellt, wie zum Beispiel Infos zu den Prüfungsleistungen oder auch den Zugang zu BigBlueButton, die Plattform für die synchrone Phase. Ein weiterer essenzieller Aspekt war die Sprechstunde. Da konnten Studierende über Ilias Termine für eine Sprechstunde buchen, um individuelle Rückfragen oder Probleme zu klären. Das wurde insbesondere im Hinblick auf die Prüfungsleistungen sehr gut angenommen.

Wichtig ist allgemein, dass der Kurs auf der Lernplattform sehr strukturiert und auch in gewisser Weise selbsterklärend ist, sodass sich die Studierenden gut zurechtfinden. Dazu gehört auch, dass die Inhalte oder Ergebnisse aus den synchronen Phasen dort eingebunden werden. Das bedeutet, ich habe die Ergebnisse aus Diskussionen der synchronen Phasen im Nachhinein auch immer noch in ILIAS eingepflegt, damit die Studierenden auf alle Inhalte gesammelt Zugriff hatten.

Startseite des Kurses mit zentralen Informationen und wöchentlichen Aufgaben

Für die Ergebnissicherung wurde ein 4-Felder-Feedback genutzt: What was new? - What wa interesting? - What would you like to learn more about?- What is you key takeaway from today´s session?

Ergebnisse von Gruppenarbeiten (z. B. auf Conceptboard) wurden im Anschluss im ILIAS-Kurs verlinkt, damit alle Studierenden im Nachgang Zugriff darauf hatten.

An dem, was Sie gerade berichten, sieht man auch ganz deutlich wie die Nutzung der Lernplattform ILIAS und das tatsächliche Geschehen miteinander verzahnt sind.

Synchrone Phasen

... gute Vorbereitung ...

Material, das gezielt auf die erste synchrone Sitzung vorbereiten sollte: Ein Video, welches die grundlegenden Funktionen von BigBlueButton erklärt und ein Video sowie textbasierte Unterlagen zu organisatorishen Fragen rund um die Lehrveranstaltung und zu ILIAS soie zum ILIAS-Kurs.

Beispiel für eine der wöchentlich zu bearbeitenen Aufgaben - sie dienten zur Vorbereitung der synchronen Sitzungen

Sie berichten ja ebenfalls über den Ablauf der synchronen Phasen der Lehrveranstaltung. Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht?

Die Umsetzung hat insgesamt sehr gut funktioniert – worüber ich schon ein bisschen überrascht war. Denn die Studierenden waren fast immer sehr gut vorbereitet, was nicht selbstverständlich ist. Gerade durch diese verbindlichen Abgaben waren die Studierenden aufgefordert, sich gut vorzubereiten und sie haben wohl auch mit der Zeit gemerkt, wie essentiell eine gründliche Vorbereitung für die synchronen Phasen war.

Die Studierenden haben sich auch an den Gruppenarbeiten besonders gut beteiligt. Es gab so gut wie immer eine äußerst konstruktive Arbeitsatmosphäre und somit auch gute Ergebnisse nach jeder der Gruppenphasen.

Socializing

Ihre Lehrveranstaltungen fand ja ausschließlich online statt. In Onlineveranstaltungen ist häufig der lebendige Kontakt eine echte Herausforderung. Das sieht man dann, wenn Studierende ihre Kameras nicht einschalten oder sich nicht getrauen zu sprechen. Wie war das in Ihrer Lehrveranstaltung?

Das lief auch sehr gut! Die Studierenden hatten fast immer die Kamera eingeschaltet. Anfangs habe ich die Studierenden noch dazu aufgefordert die Kamera anzuschalten, habe aber mit der Zeit gemerkt, dass sich das zunehmend von allein regelte: sobald ich meine Kamera angemacht habe, gingen alle Kameras an.

Beiträge gab es sowohl über den Chat als auch mündlich. Vor allem die mündlichen Beiträge haben im Verlauf des Semesters sehr stark zugenommen. Da hat man einfach gemerkt, dass die Studierenden immer stärker als Gruppe zusammengewachsen sind und sich in dem digitalen Setting immer sicherer gefühlt haben.

Ich habe bewusst viele interaktive Elemente eingebaut: zum Beispiel gab es direkt zu Beginn jeder Sitzung zur Aktivierung eine kurze Umfrage über das Umfragetool in BigBlueButton. Da haben sich so gut wie alle beteiligt. Vielleicht hat das auch deswegen so gut funktioniert, weil die Studierenden wussten, dass in meinem Modul Beteiligung gefordert ist. Von daher habe ich die Erfahrung gemacht, dass es sehr wohl auch im digitalen Setting lebendigen Austausch mit und unter den Studierenden geben kann und nicht nur schwarze, stumme Kacheln.

Veränderungen im Vergleich zu früher

Wenn das so gut gelaufen ist: haben Sie im Vergleich zu früheren Semestern etwas besonders oder anders gemacht, um diese aktive Teilnahme zu erreichen und zu unterstützen? (außer der Umstellung auf den Flipped Classroom)

Ja, ich habe in diesem Semester den Fokus viel stärker auf die Interaktion gelegt, weil im Semester davor die mündliche Beteiligung über das Semester hinweg stark abgenommen hatte, es wurde zunehmend über den Chat kommuniziert und die Zusammenarbeit lief auch nicht so gut. Einerseits hat mich das gestört, weil ich häufig keine Antworten bekommen habe, oder nur über den Chat, und andererseits war es auch problematisch für die Inhaltsvermittlung. Mir ist bewusst geworden, dass der Austausch zwischen den Studierenden nicht wie meist in Präsenzveranstaltungen ganz automatisch kommt, sondern dass ich als Dozentin das Ganze begleiten und unterstützen muss.

Daher habe ich in diesem Semester das Flipped Classroom Konzept eingeführt, um eben den Fokus ganz gezielt darauf zu legen, dass die Studierenden zusammengebracht werden, also auf den Austausch. Am Anfang habe ich beispielsweise gezielt Methoden eingesetzt, die das Kennenlernen fördern, wie zum Beispiel einen digitalen Steckbrief, mit dem sich die Studierenden selbst vorgestellt haben. Dann sollten sie sich untereinander mit Hilfe der Kommentarfunktion zum Steckbrief Fragen stellen, um sich noch näher kennenzulernen.

Zudem habe ich durchaus auch informelle Austauschrunden eingebracht und gehäuft Gruppenarbeit in wechselnden Gruppen. Das heißt, die Studierenden haben sich von Anfang an immer besser kennengelernt und zum Schluss waren sie eben als richtige Gruppe zusammengewachsen. Das fand ich absolut bemerkenswert.

Feedback

Haben Sie auch Feedback von ihren Studierenden erhalten? Gab es Dinge, die den Studierenden besonders gut gefallen haben oder gab es vielleicht auch Kritik?

Mir war es sehr wichtig am Ende des Semesters ein Feedback einzuholen. Insgesamt wurde das Modul von den Studierenden positiv beurteilt. Was ihnen insbesondere gefallen hat, waren die interaktiven Methoden und der kollaborative Austausch untereinander und es wurde auch mehrfach betont, dass durch diesen Austausch die Inhalte besser gelernt werden konnten. Das hat mir nochmal deutlich gezeigt, dass der Austausch und das Lernen nicht nebeneinanderstehen, sondern dass durch den Austausch der Wissenszuwachs verstärkt werden kann.

Es gab auch kritisches Feedback, was aber glücklicherweise sehr respektvoll geäußert wurde: es wurde ein hoher Workload bemängelt, der sich durchaus auch durch Konzept des Flipped Classroom ergeben hat. Eben weil die Studierenden in den Selbstlernphasen viel vorbereiten mussten. Insgesamt war ich sehr zufrieden und die Studierenden nach dem Feedback zu urteilen, auch.

Tipps

Das hört sich wirklich nach einer ganz gelungenen Lehrveranstaltung an. Haben Sie abschließend noch Tipps für Lehrende, die planen ihre Lehrveranstaltung auch auf einen Flipped Classroom umzustellen?

Ja, da kann ich einige zentralen Aspekte nennen.

  • Die verbindliche Anwesenheit und Vorbereitung, idealerweise auch gekoppelt mit der Abgabe von Aufgaben, sind meiner Meinung nach ganz essentiell. Damit die Studierenden immer inhaltlich vorbereitet sind und auch aktiv teilnehmen müssen. Somit können sie von der Aufsplittung der synchronen und asynchronen Phasen gut profitieren.

  • Bei der Einreichung von Aufgaben würde ich auch, so oft wie möglich, ein persönliches Feedback zur individuellen Leistung geben.

  • Und dann sollten die synchronen Phasen auf jeden Fall für den Austausch genutzt werden und auch hier die unterschiedlichen Perspektiven und Wissensstände jeweils mit einbezogen werden.

  • Und noch ein Punkt, der mir wichtig ist, ist das Kennenlernen, das gezielt durch Methoden für Austausch und Kommunikation gefördert werden kann. Das erscheint mir im digitalen Kontext nochmal wichtiger, weil so eben eine sehr angenehme und konstruktive produktive Lernatmosphäre geschaffen werden kann, die letztendlich dann auch die Wissensvermittlung unterstützt.

Insgesamt finde ich, dass es sich auf jeden Fall lohnt, Zeit und Energie in die Gestaltung des Lernformats zu stecken. Die Studierenden bewerteten genau die Punkte, auf die ich viel Engagement verwendet habe, als sehr positiv und angenehm.

Vielen Dank Frau Lange! Ich wünsche Ihnen für weitere Semester noch ganz viele solche Lehrveranstaltungen.