Tabs
Internationalisierung
Kurzinfo
Die Internationalisierung von Lehrveranstaltungen gewinnt an Hochschulen zunehmend an Bedeutung. Durch internationale Lehrveranstaltungen können Lehrende wie Studierende ihre interkulturellen, aber auch fachlichen Kompetenzen erweitern, internationale Netzwerke auf- und ausbauen sowie gemeinsam innovative Lehre gestalten. Die digitale Internationalisierung ist im Vergleich zur physischen Mobilität inklusiver/barriereärmer, kostengünstiger, flexibler, nachhaltiger und fördert zusätzlich die digitalen Kompetenzen der Teilnehmenden. Die Gestaltung internationaler Lehrveranstaltungen im virtuellen Raum ist aber keineswegs trivial: Von der Planung über die Durchführung bis hin zum erfolgreichen Abschluss virtueller internationaler Lehrveranstaltungen müssen Lehrende zahlreiche Aspekte berücksichtigen und Hürden überwinden.
For an English version click on the flag symbol in the top right.
Schnelleinstieg
Das Skript "VITALS: Virtual International Teaching and Learning Skills. Eine didaktische und methodische Einführung in die virtuelle internationale Hochschullehre" ist die schriftliche Ausarbeitung einer Workshopreihe, die im Rahmen des NIDIT-Projekts an der Justus-Liebig-Universität Gießen im Frühjahr 2023 durchgeführt wurde. Neben einer grundlegenden Einführung in die verschiedenen Möglichkeiten, das Potential und die Herausforderungen virtueller internationaler Lehre, erhalten Sie in diesem Skript Einblicke in verschiedene didaktische und methodische Ansätze und Ideen zur (erfolgreichen) Gestaltung virtueller internationaler Lehrveranstaltungen.
Des Weiteren haben Sie die Möglichkeit, sich über internationale kollaborative Lehre zu informieren, sowie durch die Handreichung How To: internationale kollaborative Lehre praktische Anregungen für deren Umsetzung zu finden.
Für einen schnellen Überblick über die Thematik finden Sie im Folgenden ein Erklärvideo zum Thema „Virtuelle Internationale Lehrveranstaltungen“ jeweils auf Deutsch und Englisch und ein Video zum Thema „Intercultural competencies for (young) lecturers“.
Stolpersteine in internationalen, digitalen Lehrkontexten
- und wie Sie sie aus dem Weg räumen
Stein 1 - Lingua Franca
Wenn wir miteinander kommunizieren, dann verwenden wir nicht nur verbale, sondern auch non- und para-verbale Signale. Das Hören und Sprechen einer Fremdsprache birgt daher mehr als linguistische Schwierigkeiten, die für sich schon herausfordernd genug sein können. Für einen erfolgreichen, internationalen Kommunikationsakt, muss über einen längeren Zeitraum des intensiven Kontaktes erst ein Feingefühl für Konnotationen, Zwischenzeiliges, Humor, Gepflogenheiten und Kulturstandards entstehen, so etwas wie eine soziale Grammatik, die sich in Lehrbüchern noch schwieriger abbilden lässt, als Vokabeln.
Zunächst macht es Sinn die kognitive Belastung der Studierenden/Teilnehmenden auf Ebene der Vokabeln zu verringern. Es bietet sich daher an, Gesagtes durch aussagekräftige (Schau-)Bilder oder Infografiken zu ergänzen. Sie können außerdem ein Glossar anlegen, in dem zentrale Begriffe erläutert werden und einen Reader zur Verfügung stellen, damit im Sitzungseifer nicht-Verstandenes selbstständig nachgelesen werden kann. Auf der sozialen Ebene hilft es, Studierenden Unsicherheiten und das Treten in Fettnäpfchen, Ängste, die Lehrpersonal in diesem Kontext im Normalfall teilt und nachvollziehen kann, als integralen Bestandteil interkulturellen Austauschs auszudeuten ("Wir sitzen alle in einem Boot."). Stärken Sie die Beziehungen untereinander und zwischen sich und Ihrer Lerngruppe, indem Sie einen safe space schaffen, in dem Fragen und Fehler erwünscht sind, weil sie nur dann beantwortet bzw. verbessert werden können.
Stein 2 - Diversitäre Lernkultur
Während es in Deutschland mittlerweile Usus ist seine Doktoreltern mit vertrautem "Du" ansprechen zu dürfen, wäre dies in Italien eine undenkbare Respektlosigkeit. Sind Studierende in deutschen Seminaren geradezu dazu verpflichtet sich rege zu beteiligen und das Gesagte in Frage zu stellen, wird in China viel mehr Wert auf Anwendungsfähigkeit als Partizipation gelegt. "Andere Länder, andere Sitten", sagt der Volksmund. Lehrende können nicht davon ausgehen, dass in internationalen Lerngruppen die gleichen (Rollen-)Erwartungen aneinander vorherrschen.
Weil sich internationale Studierende über fremdartige Lehrmethoden wundern werden und das Risiko besteht, dass sie sich nicht automatisch in den fremden Kontext eingliedern können, sondern aus Überforderung aussteigen, müssen Sie diesen Prozess begleiten. Regelmäßige Reflexion in der Gruppe oder bilateral hilft dabei, zwischen unterschiedlichen pädagogischen Stilen zu vermitteln, sie zu verstehen und zwischen ihnen zu wechseln. Lokale Regeln müssen dekodiert werden, indem Gelegenheiten geschaffen werden, das jeweils unterschiedliche Lernerlebnis nachzuvollziehen und zu verbessern.
Stein 3 - (Maximal-)Heterogene Lerngruppe
Erwachsenenpädagogik generell und Hochschulpädagogik im Besonderen hat es immer mit heterogenen Lerngruppen qua unterschiedlicher Hintergründe zu tun. Im internationalen Kontext wird dieser Umstand maximiert: Unterschiedliche fachwissenschaftliche Wissensstände, Strukturgebundenheiten, Curricula, Uhrzeiten, Räumlichkeiten, Kompetenzen im wissenschaftlichen Arbeiten, der Anwendung von und Ausstattung mit Digitalia usw.
Bereiten Sie Ihre Teilnehmenden auf Ihr Seminar vor, indem Sie zum Beispiel ein Onboarding-Paket verschicken, ob digital oder physisch, in dem Sie sie offiziell begrüßen, sich selbst vorstellen, essentielle Informationen mitteilen, präzise Anleitungen für Technik und Online-Tools, die als Lernumgebung und -hilfe verwendet werden sollen, weitergeben, Material zur Vorbereitung zur Verfügung stellen und ganz allgemein darauf hinweisen, was die Teilnehmenden erwartet. Dies wird den Teilnehmenden von Beginn an einen positiven Eindruck verschaffen, weil sie Ihnen Sicherheit vermitteln, indem Sie Sensibilität für potentielle Schwierigkeiten zeigen. Führen Sie diesen Stil fort, indem Sie auch während des Verlaufs Ihrer Veranstaltungen immer wieder anonymisiertes live-Feedback einholen, um Ihre Unterstützung dort anzubieten, wo sie gebraucht wird.
Stein 4 - Akkreditierung
Die Nützlichkeit einer Veranstaltung bemisst sich nicht nur am Zugewinn von relevanten und transferierbaren soft- und hardskills, sondern vor allem an der Akkreditierbarkeit der Lernleistung an den jeweiligen Heimatuniversitäten Ihrer Studierenden. Hier spielt nicht nur das jeweils in Verwendung stehende Credit-System eine Rolle, sondern auch die Messbarkeit von Wissen/Fähigkeiten in internationalen Seminaren selbst, wo weniger das Ziel, als der Weg dorthin Lehrgegenstand ist.
Bieten Sie ein COIL-Seminar an, haben Sie die Möglichkeit mit dem:der jeweiligen Kolleg:in vor Ort abzustimmen, wie die Veranstaltung aufgezogen werden muss, damit sie für die Studierenden auf ihren Abschluss anrechenbar wird (Nicht jedes Thema eignet sich gleichermaßen für ein internationales Seminar!). Nutzen Sie darüber hinaus ePortfolios zur formativen wie summativen Beurteilung des Lernfortschritts im Kontext von Internationalisierung d.h. die Fähigkeit zu interkultureller Kollaboration oder Reflexivität usw.
Stein 5 - Begegnungslücke
Die Basis für einen offenen, kulturellen Austausch ist soziale Inklusion. Sich in eine Gruppe Fremder zu integrieren und eine gewinnbringende Beziehung zu ihnen aufzubauen ist in real life schwierig, online und ohne die gleiche Muttersprache zu sprechen noch viel schwieriger. Das liegt vor allem daran, dass in Veranstaltungen, die online stattfinden, sogenannte third places fehlen, das heißt Räume in denen informelles Begegnen, wie zum Beispiel zehn Minuten vor und nach jeder Veranstaltung im Hörsaal, im Flur, in der Mensa oder in der Bibliothek möglich ist.
Schaffen Sie diesen "dritten Raum" für Ihre Studierenden, indem Sie ihnen eine Plattform dafür anbieten, wie einen Chat, den Sie selbst nicht lesen können und dessen Inhalt ausdrücklich nicht den Seminarinhalt behandeln muss. Organisieren Sie Arbeitsaufträge so, dass die Teilnehmenden sich miteinander mischen und kollaborieren müssen, um Synergien aber auch lehrreiche Konflikte zu provozieren, die sie dann gemeinsam lösen. Investieren Sie Zeit in gemeinschaftsbildende Maßnahmen, wie online Escape Rooms oder Schnitzeljagden, Wollknäulfragen, etc. Bieten Sie auch in Pausen gemeinsame Aktivitäten an wie (thematisierte) Break-out rooms oder Spiele auf Plattformen wie gather.town oder gartic.com und wenn es irgendwie möglich ist, organisieren Sie wenigstens einen face-to-face Termin. Im E-Learning-Wegweiser finden Sie viele weitere Hinweise und Ideen zur Aktivierung von Studierenden, zur Förderung sozialer Nähe und aktiver Beteiligung im virtuellen Raum sowie zum Thema "Gamification".
Stein 6 - Lurking
Online-Veranstaltungen zeichnen sich nicht selten durch eine geringe Beteiligung und eine große Anzahl schwarzer Kacheln aus. Problematisch ist dabei nicht nur, dass Lehrende nicht wissen, ob überhaupt jemand auf der anderen Seite sitzt, sondern auch, dass sie nicht wissen, ob es die Person ist, die auf der Seminarliste geführt wird und anschließend bewertet werden soll. Der Effekt des sogenannten lurkings ist verheerend für eine Lerngruppe. Sichtbare Teilnehmende sind dadurch gezwungen die gesamte Sitzung zu tragen und schalten früher oder später aus Unbehagen ebenfalls ihre Kamera aus und klinken sich nicht mehr ins Geschehen ein.
Akzeptieren Sie "schwarze Kacheln" nur mit guter Begründung. Das bedeutet, dass Sie in einem ersten Schritt das Gespräch zu denjenigen Studierenden suchen und nachfragen. Häufig sind die Gründe so trivial wie eine instabile Internetverbindung oder das Fehlen einer geeigneten Kamera. Handelt es sich um eine kulturelle Begründung, können Sie abwägen, wie Sie damit umgehen möchten. Fokussieren Sie neben den Sensibilitäten der Einzelnen immer die Gruppe, Fairness und die Möglichkeit voneinander zu lernen.
Stein 7 - Erreichbarkeitsimperativ
Digitale Kommunikation erlaubt, wenn sie asynchron verläuft, Anfragen, die nicht zu Bürozeiten, an Wochenenden oder in den Ferien reinkommen. Internationale, digitale Kommunikation verstärkt diesen Effekt, weil gleiche Arbeitszeiten wegen der Zeitverschiebung gar keine Rolle mehr spielen. Soll eine Abstimmung synchron innerhalb eines Meetings erfolgen und Sie arbeiten mit einer kalifornischen Kollegin zusammen, muss zwangsläufig eine:r von Ihnen eine Nachtschicht einlegen. So werden schnell Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben überschritten und verwischt.
Legen Sie im Vorfeld Ihre persönlichen Grenzen fest. Respektieren und kommunizieren Sie diese unbedingt ("Am Wochenende werde ich nicht auf E-Mails antworten.") und halten Sie auch Ihre Studierenden dazu an. Geben Sie nur für Notfälle ihre private Nummer raus oder verzichten Sie ganz darauf. Nur weil Sie theoretisch immer erreichbar sind, müssen Sie dies nicht praktisch sein.
Stein 8 - Hoher Betreuungsaufwand
Die oben aufgeführten Stolpersteine zeigen, dass die in jedem Lehr-/Lernkontext zu verhandelnden Schanierstellen (Kommunikation, Teilnahme, Vielfalt, Begegnung, Anerkennung, Aktivierung, Transparenz, usw.) sich in internationalen (digitalen) Lehrformaten zuspitzen. Dies erhöht den Betreuungsaufwand für Lehrende enorm und kann dazu führen, dass diese lieber keine solche Lehrveranstaltung anbieten wollen.
Vielfalt in einem geschützten Rahmen befragen zu dürfen, fördert Toleranz und Empathiefähigkeit. Diese beiden sind die Basis für friedliches Zusammenleben in einer globalisierten Welt, das klingt pathetisch, ist aber von enormer Wichtigkeit: Kommen Studierende (und Dozierende) aus verschiedenen Ländern und mit unterschiedlichen kulturellen Prägungen zusammen und lernen voneinander, werden sie dadurch nicht nur ihren Lebenslauf aufpolieren können, sondern sich vor allem individuell entwickeln. Sie werden lernen sich Mitmenschen offen und mitfühlend zuzuwenden, egal mit welchem Hintergrund. Die Möglichkeit Kooperationen, Synergien und Freundschaften zwischen Akademiker:innen zu fördern, bietet darüber hinaus das riesige Potential zu positiver, globaler Veränderung beizutragen. Lehrende müssen sich immer als Multiplikator:innen dieses Ziels verstehen.
Um dieser Verantwortung selbstfürsorglich gerecht zu werden, sind im Vorfeld Gespräche mit der Lehrkoordination/den Supervisor:innen zu führen, in denen der vermehrte Aufwand transparent gemacht wird. Von Vorteil ist es außerdem, sich eine:n Kolleg:in, lokal oder international, an die Seite zu holen, der:die bei der Organisation und Durchführung hilft. Versuchen Sie außerdem Zeit zu sparen, indem Sie viel Wert auf klare Kommunikation legen, von Abgabefristen bis Zitierweise, und das Bereitstellen von eindeutigem, zugeschnittenem Material, um Selbstständigkeit zu fördern und wiederholtes Nachfragen sowie Missverständnisse zu minimieren. Unterstützen Sie in höchstem Maß Peer-Support und vergessen Sie nicht, dass es die "perfekte" Lehrveranstaltung nicht gibt.
- Brück-Hübner, A. (2023). VITALS, Virtual International Teaching and Learning Skills - A Didactical and Methodical Introduction in Virtual International Teaching in Higher Education.
- Carroll, J. (2015).
Tools for Teaching in an Educationally Mobile World. Internationalization in Higher
Education. Routledge, S. 18. - Deci, E. L., & Ryan, R. M. (1993).
Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die
Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39(2), 223-238. - Johnson, D. W., Johnson, R. T., & Stanne, M. B. (2000).
Cooperative Learning Methods: A Meta Analysis.