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Bärenfänger, Maja [gz464] - 28. Apr 2022, 9:55am

Getting closer and get involved: Soziale Nähe und aktive Beteiligung im virtuellen Raum fördern und gestalten

Die Erfahrungen der Corona-Semester haben gezeigt, dass es eine echte Herausforderung ist, sich im digitalen Raum als Teil einer Gruppe zu fühlen und sich aktiv an der Lehrveranstaltung zu beteiligen. Wir haben uns deshalb mit der Frage beschäftigt, wie soziale Nähe in Lehrveranstaltungen, die nicht zu 100% in Präsenz stattfinden, entstehen kann – und welche Methoden sich zur Initiierung und Förderung einer lebendigen und aktiven Community of Learning eignen.
Mit Blick auf aktuelle empirische Studien und Lern- und Kommunikations-Theorien haben wir unsere Ideen einerseits als Handreichung (PDF) aufbereitet, andererseits in Form eines multimedialen Lernmoduls mit Videos (auf Englisch und Deutsch). In diesem Blog-Beitrag haben wir einige unserer Überlegungen skizzenartig zusammengefasst. Wenn Sie mehr erfahren möchten, schauen Sie gerne in unsere ursprünglichen Veröffentlichungen.
Die Ideen zur Förderung und Gestaltung sozialer Nähe und aktiver Beteiligung, die Sie hier finden, können in ähnlicher Form auch auf die Durchführung von hybriden Lehrveranstaltungen, Blended Learning-Veranstaltungen oder Präsenzkursen übertragen werden.

Warum spielt soziale Nähe für Lehrveranstaltungen überhaupt eine Rolle? 

Eine der bekanntesten Theorien der Motivation ist die Selbstbestimmungstheorie der Motivation von Deci & Ryan[1]. Dieser Theorie zufolge gibt es drei angeborene psychologische Grundbedürfnisse des Menschen:
  1. Das Bedürfnis nach Kompetenz oder Wirksamkeit
  2. Das Bedürfnis nach Autonomie oder Selbstbestimmung
  3. Das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit oder Zugehörigkeit
Die Motivation zum Erreichen eines Ziels, z.B. eines Lernziels, ist nach dieser Theorie höher, wenn die Lernenden dabei gleichzeitig ihre psychologischen Grundbedürfnisse befriedigen können – und eines dieser Bedürfnisse ist eben auch das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit oder Zugehörigkeit.

Was sind im digitalen Raum besondere Herausforderungen im Hinblick auf das Entstehen von sozialer Nähe?

In der Präsenzlehre geschieht bezüglich der Sozialkontakte vieles „automatisch“, z. B. das kurze Treffen auf dem Flur; der Smalltalk in den Minuten vor und nach Veranstaltungsbeginn; die gemeinsame Anwesenheit in einem Raum und das geschäftige Treiben, wenn die Studierenden sich in kleineren Gruppen zusammensetzen; das kleine Zweiergespräch am Rande, bei dem sonst niemand mithört; die Treffen der Studierenden außerhalb des Seminarraums sowie der gemeinsame Kaffee während der Pausen.
Im digitalen Raum wird hingegen der Wahrnehmungs- und Erlebnisraum stark eingeschränkt und der Kontakt zwischen Studierenden untereinander sowie Studierenden und Dozierenden auf einen minimierten audiovisuellen Kanal reduziert. Lehrende in digitalen Lehrszenarien beklagen beispielsweise, dass Studierende die Kameras nicht anschalten, sich weniger aktiv beteiligen oder virtuelle Beratungsangebote kaum wahrnehmen. Lehrende sprechen so gefühlt „in einen leeren Raum“ und Studierenden fällt es schwer, zu der „Kachel auf dem Bildschirm“ eine Beziehung herzustellen. Dies führt insgesamt zu einem Verlust an sozialer Eingebundenheit, die ihrerseits mit zu einer Minderung der Lernmotivation beitragen kann (vgl. Deci & Ryan 2000).
Im digitalen Raum sind die Möglichkeiten geteilter Erfahrungen und gemeinsam erlebter Situationen stark eingeschränkt.
Das kann als Verlust an sozialer Nähe empfunden werden. Und kann auch zu einer Minderung der Lernmotivation beitragen.

Wie können Lehrende in einer nicht vollständig in Präsenz durchgeführten Lehre soziale Nähe initiieren und gestalten und so die Bildung einer Lerngemeinschaft fördern?

Getting closer: Vor der Veranstaltung

Schon vor Beginn der Lehrveranstaltung können Sie beeinflussen, wie sich Atmosphäre, Zusammenarbeit und Lernkultur in der Veranstaltung entwickeln werden. Im Folgenden finden Sie einige Tipps, was Sie bereits vor der ersten Sitzung tun können, um Nähe und Interaktion zu fördern.
  • Begrüßen Sie Ihre Studierenden bereits vor Beginn der Veranstaltung persönlich (per Mail oder Video). Heißen Sie sie willkommen.
  • Geben Sie Hilfen zu den verwendeten digitalen Werkzeugen, um die technischen Hürden für eine Teilnahme an der Veranstaltung zu minimieren.
    Tipp: Das HRZ stellt vielfältige Anleitungen sowohl zu den Web- und Videokonferenztools als auch zu Stud.IP und ILIAS zur Verfügung.
  • Stellen Sie Ihre Agenda und Erwartungen an den Kurs kurz vor - idealerweise sowohl im Rahmen der Begrüßungsmail / des Begrüßungsvideos als auch in schriftlicher Form, z.B. auf einer Informationsseite in Stud.IP oder auf der Startseite des ILIAS-Kurses.
  • Geben Sie den Studierenden die Möglichkeit, sich selbst vorzustellen (z.B. mittels einer Hall of Fame, realisiert mittels des Forums in Stud.IP oder ILIAS).
  • Fragen Sie bereits vorab nach den Erwartungen und Wünschen der Studierenden (z.B. mittels einer Umfrage in Stud.IP oder ILIAS).

Getting closer und get involved: Vorhang auf - die erste Sitzung

Die erste Sitzung stellt entscheidende Weichen für die Atmosphäre und Zusammenarbeit in der Lehrveranstaltung. Die Signale, die Sie hier geben, beeinflussen stark, wie offen, engagiert und aktiv sich die Studierenden in der Veranstaltung beteiligen werden. Hier einige Tipps:
 „When students and teachers never meet in person it is important to plan a moment to ‘virtually’ meet each other, preferably at the start of a synchronous session. Virtual introductions should focus first on interpersonal interaction between the group members and not immediately on task work.“ (de Nooujer/Schneider/Verstegen 2020, o.S.).[2]
  • Schaffen Sie Zeit und Raum zum gegenseitigen Kennenlernen (z.B. eine gemeinsame Besichtigung der zuvor erstellten Hall of Fame, kombiniert mit einem Austausch in kleineren Gruppen, oder alternativ: ein Speed Dating/Meeting; weitere Ideen zum gegenseitigen Kennenlernen finden Sie im Methodenset "Digitale Vertrauenskarten und Take-a-break-Karten" des Hochschulforums Digitalisierung).
  • Starten Sie einen Dialog über den gemeinsamen Lehr-Lernprozess: Alle Beteiligten tragen gemeinsam Verantwortung für das Gelingen der Veranstaltung. 
  • Geben Sie Orientierung: Wie läuft die Veranstaltung ab? Welche Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten gibt es? An wen können sich Studierende bei inhaltlichen, technischen oder organisatorischen Fragen wenden oder wo finden sie Infos?
Ausführlichere Informationen und Links zu empfehlenswerten Tools und Methoden finden Sie im entsprechenden Kapitel des Lernmoduls (deutsche Fassung |englische Fassung). In den Lernmodulen haben Sie auch die Möglichkeit, Ihre Erfahrungen und Ideen über die Kommentarfunktion mit Ihren Kolleginnen und Kollegen zu teilen.

Get involved: In der Veranstaltung: Soziale Routinen für alle Sitzungen

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier - soziale Routinen für alle Sitzungen

Es gibt sehr viele verschiedene Möglichkeiten, Nähe und Beteiligung in der Online-Lehre zu fördern. Wir empfehlen hierfür soziale Routinen zu etablieren. Routinen schaffen einen vertrauten Rahmen. Die Studierenden wissen auf diese Weise, was sie erwartet und erleben keine (unangenehmen) Überraschungen, die sich unter Umständen negativ auf das Gefühl des Eingebundenseins in der Lerngruppe, des Wohlfühlens in der Veranstaltung auswirken können. Dabei ist es ratsam, die Lerngruppe selbst Einfluss auf die ausgewählten Routinen nehmen zu lassen. Nicht jede Routine passt zu jeder Lerngruppe.
Hier einige Beispiele für (mögliche) soziale Routinen für alle Sitzungen:
  • Einstiegsroutinen: Drop-In-Zeit, Ice-Breaker-Fragen
  • Kameraroutinen: Abstimmungen mit der Kamera (per Daumen, per Distanz/Nähe, per Mimik, Gestik)
  • Interaktionsroutinen: Durchführung von Partner-Interviews/Murmelgruppen/Think-Pair-Share, anonyme Umfrage (im Hörsaal z.B. auch per ILIAS Live Voting), Sammeln offener Fragen, Durchführen eines Brainstormings oder Erstellung kollaborative Take-Home-Messages per Etherpad, digitaler Pinnwand, oder ILIAS Live Voting (auch per Smartphone im Hörsaal nutzbar)
  • Pausenroutinen: gemeinsamer Pausensport (unterstützt durch den AHS), kurze Pausenspiele (Gegenstände sammeln, Schnick-Schnack-Schnuck), gemeinsames Kaffeetrinken (weitere Ideen für gemeinsame Pausen finden Sie im Methodenset "Digitale Vertrauenskarten und Take-a-break-Karten" des Hochschulforums Digitalisierung)
  • Ausstiegsroutinen: gemeinsames Resümee zum Lernerfolg (kollaborative Erstellung einer Mindmap oder Zusammenfassung), Dialog zum Lernprozess (anonymes Feedback zum Lernen durch Stimmungsbild, Abstimmungen/Umfragen, Dialogecken; Reflexion des eigenen Lernens mit einem Lerntagebuch)
Sicher fallen Ihnen selbst noch weitere Routinen ein - oder Sie haben bereits mit der ein oder anderen Routine Erfahrungen gesammelt. Lassen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen gerne über die Kommentarfunktion des entsprechenden Kapitels im Lernmodul (deutsch | englisch)  an Ihren Ideen und Erfahrungen teilhaben.

Staying close: Zwischen den Sitzungen

Auch nach den synchronen Sitzungen können Sie als Lehrende einiges tun, um den Kontakt zu den Studierenden zu halten und die Zusammenarbeit zwischen den Studierenden zu fördern - um so den Aufbau einer Community of Learning zu unterstützen.
  • Zur Stärkung des Kontakts zwischen Ihnen und den Studierenden eignen sich z. B. eine Drop-out-Zeit direkt im Anschluss an die synchrone Sitzung sowie individuelle und offene Online-Sprechstunden. Nach Abschluss des Semesters ist es außerdem sinnvoll, sich durch die Bildung einer Fokusgruppe ein ausführliches Feedback zur Veranstaltung einzuholen.
  • Um den Kontakt zwischen den Studierenden zu stärken, gestalten Sie die Selbstlernphasen so, dass die Studierenden kollaborativ zusammenarbeiten. Auch die Vorbereitung auf die Prüfung kann für die Vertiefung sozialer Nähe in der Lerngruppe genutzt werden, indem Sie hierbei Gruppen- oder Partnerarbeiten bzw. Peer Review-Szenarien einsetzen.

Kontakt und Ansprechpartnerinnen

Dr. Maja Bärenfänger (Instructional Designerin, ILIAS-Support)
Hochschulrechenzentrum (HRZ)             
E-Mail: Maja.Baerenfaenger@hrz.uni-giessen.de
Tel.: 0641-99-13082 (Erreichbarkeit: Mo-Fr, 9-14 Uhr)
Dr. Sabine Fritz (Hochschuldidaktische Referentin)
Hochschuldidaktisches Kompetenzzentrum (HDK)
E-Mail: Sabine.Fritz@zfbk.uni-giessen.de
Tel.: 0641 / 98 442-149 (Erreichbarkeit: Di-Do, 10-14 Uhr)
Bildnachweis: Alle Bilder auf dieser Seite - mit Ausnahme unserer persönlichen Fotos - stammen von Pixabay und stehen unter einer CC0-Lizenz.

[1] Deci, Edward L. & Ryan, Richard M.: Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. In: Zeitschrift für Pädagogik 39 (1993) 2, S. 223-238.
[2] de Nooijer, Jascha, Francine Schneider & Daniëlle ML Verstegen (2020): Optimizing collaborative learning in online courses. Online: https://www.researchgate.net/publication/344222586_Optimizing_collaborative_learning_in_online_courses/link/6042604692851c077f193313/download

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